Manuel van der Veen | VON DER ATELIERWAND ZUM DIGITALEN PINBOARD | OPERATIONEN DER SELBSTVERORTUNG UND DER KOLLEKTIVEN PRAXIS
Ästhetische oder künstlerische Forschung muss unter dem Zugzwang Ergebnisse zu liefern bestehen, obwohl sie gerade das, was in wissenschaftlicher Forschung als Ergebnis kursiert, anders denken will. Im Vortrag möchte ich mich einem Phänomen aus dem working space widmen, das seit jeher der ästhetischen Forschung dient – die Praxis der Atelierwand. Für mich, als künstlerisch Forschenden, steht die Atelierwand als Schnittstelle ein: zwischen praktischer und theoretischer Forschung. Sie markiert ein Dazwischen, zwischen privat und öffentlich, zwischen Entwurf und Werk. Eine Komposition verschiedener Bilder, Materialien, Medien und Operationen, die eine ästhetische Argumentation zeigt. Die einzelnen, mobilen Elemente ermöglichen eine produktive Unabgeschlossenheit. Die Atelierwand kann somit den offenen (Denk)Prozess selbst repräsentieren. Wie können sich die Operationen zu den einzelnen Bildern verhalten? Welche Rolle spielen die jeweiligen Materialien und Medien, die auf der Atelierwand zusammenfinden? Die Praxis der Atelierwand soll als ästhetische Forschung herausgearbeitet werden, die nicht in einem abgeschlossenen Werk resultiert, sondern offen für ihre eigene Um-Ordnung bleibt.
Für die Untersuchung können zweierlei Praktiken hervorgehoben werden, die für eine art education fruchtbar erscheinen. Erstens wird die Atelierwand von einer Vielzahl an KünstlerInnen dazu genutzt, die eigene Position in der Welt und in der Kunstgeschichte zu bestimmen. Die Konstellation der Bilder vermittelt somit einen vertieften Einblick in das freigelegte ästhetische Denken der jeweiligen künstlerischen Position. Zweitens finden die verschiedenen Operationen und die Offenheit der Konstellationen durch neuere technologische Verfahren ein Potenzial zur kollektiven Praxis – gemeinsam umordnen und weiterdenken. Wie also mit Materialien und Bildern die eigene Position in der Welt umreißen? Und was geschieht, wenn jemand anderes eingreift? Für die Atelierwand als Selbstverortung und kollektive Praxis, will ich aus zwei verschiedenen Verfahren heraus argumentieren: namentlich den Trompe-loeils aus dem 17. Jahrhundert, die Atelierwände darstellen, und eine aktuelle Augmented Reality Applikation, die Strategien der Atelierwand auf digitale Pinboards übersetzt.
Beide können einen Einblick in Lern- und Erkenntnisprozesse bereitstellen, die im Tun gestaltet werden und den Umgang mit Techniken, Technologie und Bildern hinterfragen. Dadurch ist das Denken der Atelierwand vom Druck des Ergebnisses oder der Verallgemeinerung einer Theorie befreit. Sie erfüllt operational was künstlerische Forschung als praktische Theorie ausweisen könnte.
Kurzvita:
Manuel van der Veen ist Autor und Künstler. Er studierte von 2012 – 2017 Kunsterziehung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe und Philosophie/Ethik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Es folgte ein Malerei-Aufbaustudium bei Prof. Tatjana Doll (2016 – 2017). Seit 2018 promoviert er an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Prof. Dr. Carolin Meister und Prof. Dr. Stephan Günzel (Technische Universität Berlin) zum Thema „Augmented Reality. Trompe-l’œil und Relief als Technik und Theorie“.